Entführungsfall
Nach fast 40 Jahren: Wurde für den Tod von Ursula Herrmann der Falsche verurteilt?
Der Fall liegt lange zurück und bleibt bis heute rätselhaft. Am 15. September 1981 verschwand die kleine Ursula Herrmann vorerst spurlos. Knapp drei Wochen später wurde ihre Leiche in einer Kiste im Wald gefunden. Eine lückenlose Aufklärung gibt es bis heute nicht - aber einen Mann, der für den Tod des Mädchens im Gefängnis sitzt.
Rückblick: Ursula Herrmann ist gegen 19:15 Uhr vom Turnen mit ihrem Fahrrad unterwegs nach Hause. Sie nimmt eine Abkürzung über das Feld. Durch das Waldgebiet direkt am Ufer des Ammersees sind es nur zwei Kilometer bis zum Elternhaus in Eching. Doch die Zehnjährige kommt nie dort an. "Wir wussten nicht, was los ist. Warum kommt sie nicht nach Hause? Man macht sich alle möglichen Gedanken. Und am dritten Tag war klar, dass es eine Entführung ist", erinnert sich Ursula Herrmanns Bruder Michael, der damals 18 Jahre alt war. "Bei uns ist das passiert, was andere Leute als Krimi anschauen."
Ursula Herrmann wird auf ihrem Heimweg angehalten und betäubt, dann geht es etwa 800 Meter durch den Wald. Sie wird in eine Kiste im Waldboden gesetzt und vergaben. Es gibt Süßigkeiten, Getränke, Western-Hefte, Licht – das Mädchen soll offenbar dort warten. Doch das dilettantisch erdachte Belüftungssystem der Kiste versagt: Ursula Herrmann lebt nur noch kurze Zeit in der Box unter der Erde.
Die Eltern erhalten seltsame Anrufe aus einer Telefonzelle und Erpresserbriefe, die aus Zeitungsschnipseln zusammengesetzt sind. Es werden zwei Millionen Mark Lösegeld gefordert.
19 Tage nach ihrem Verschwinden wird Ursula Herrmanns Leiche gefunden. Das Mädchen hatte keine Chance. Laut Michael Herrmann habe sie davon zum Glück nichts gespürt, so die Erkenntnisse: "Von der Auffinde-Situation her kann man recht deutlich belegen, dass sie wohl betäubt in die Kiste kam. Es waren auch sonst keine Befreiungsspuren sichtbar. Insofern können wir davon ausgehen, dass sie von ihrem Sterben nichts mitbekommen hat."
Muss der Falsche seit 10 Jahren büßen?
Michael Herrmann ist davon überzeugt, dass der Mann, der für den Tod seiner Schwester inzwischen im Gefängnis sitzt, nicht der richtige ist. Er sucht den oder die wahren Schuldigen. "Ich habe den Eindruck, dass die Justiz den Fall nicht wirklich aufklären will, sondern nur abschließen", so der heute 55-Jährige zu stern TV. Die Polizei tappte damals vollkommen im Dunkeln: Der Tatort wurde nicht richtig gesichert, die Ermittlungen verliefen fehlerhaft – es war sogar von einem Spurenvernichtungskommando die Rede. Jahrelang hatte die Polizei den oder die Entführer nicht ermitteln können.
Der Tod von Ursula Herrmann gilt juristisch gesehen als erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge. Nach 30 Jahren drohte Verjährung. Im Februar 2009, kurz vor Ablauf dieser Frist, begann vor dem Augsburger Landgericht doch noch ein Prozess. Der Angeklagte war Werner Mazurek, ein Fernsehtechniker, dessen Ex-Frau bei den Herrmanns geputzt hat – und der zum Tatzeitpunkt verschuldet und polizeibekannt war. stern TV traf den 69-Jährigen im Gefängnis. Er sagt bis heute: "Ich habe keine Tat begangen. Das ist ein Politikum gewesen. Es wurde richtig Druck gemacht, nach dem Motto 'Jetzt macht was, sperrt irgendeinen ein, egal wie der heißt'." Obwohl gegen Mazurek keine klaren Beweise vorlagen, wurde der Mann 2010 in einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch Mazurek lässt nicht locker, er kämpft sich seit 10 Jahren immer wieder durch die gesammelten Aktenberge. Und auch Ursula Herrmanns Bruder glaubt weiter daran, dass Mazurek nicht der eigentliche Täter ist, sondern andere Personen den Tod seiner Schwester zu verantworten haben.
Eines der Indizien etwa war ein Tonbandgerät, das die Polizei in Mazureks Wohnung fand und das laut LKA-Gutachten 'wahrscheinlich' für die Erpresseranrufe verwendet worden sein soll. Mazurek behauptet bis heute, das Tonband erst 2007 auf einem Flohmarkt gekauft zu haben. Auch Michael Herrmann hat Zweifel: Die Bayern 3-Melodie, die bei den rätselhaften Anrufen ertönte, hätten mit dem Tonband zuvor aus dem Radio aufgezeichnet werden müssen, um dann, so Michael Herrmann, "auf ein Diktiergerät überspielt zu werden. Von dort in einer Telefonzelle durch den Telefonhörer zu meinen Eltern, um dort wiederum auf ein Gerät der Polizei aufgenommen zu werden. Das ist ein sehr langer Weg. Daraus Rückschlüsse ziehen zu wollen, halte ich nicht für seriös."
Indizien deuten anderes Täterprofil an
Michael Herrmann kämpft seit Jahren dafür, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen doch noch einmal aufnimmt den Entführungsfall nach über 37 Jahren doch noch richtig aufklärt. Er sammelt Beweise, Indizien und beauftragt Experten. "Es gibt mehrere Punkte, die für einen jugendlichen Täterkreis sprechen. Auch Dinge, bei denen man sich denkt: Wie kommt man nur auf die Idee? Das ist eigentlich kein erwachsenes Denken", sagt der 55-Jährige. So hat die Londoner Wissenschaftlerin Dr. B. Zipser etwa die original Erpresserschreiben analysiert und kommt allein von den Formulierungen zu dem Schluss, "Herr Mazurek ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Verfasser". Zudem hatte die Polizei auf einem der Briefe Durchdruckspuren von einer mathematischen Aufgabe aus der gymnasialen Oberstufe gefunden. Dieser Lehrstoff könnte laut Michael Herrmann zu einem Privatinternat gehören, das unmittelbar an das Waldgebiet grenzt, indem seine Schwester entführt wurde. "Es ist bekannt, dass in dem Landschulheim einige Kinder und Jugendliche von eher prominenten Erwachsenen aus eher betuchtem Elternhaus sind", so Michael Herrmann. "Man könnte vermuten, dass aufgrund des Einflusses von diesen Leuten Ermittlungen nicht gern gesehen werden."
Die einzigen Ermittlungen dort bezogen sich auf einen Metalldraht, den die Polizei zwar im Wald als zu dem dilettantischen Kistenbau gehörig eingeordnet, aber nicht mitgenommen hatte. Der Draht tauchte bei zwei Jugendlichen in dem Landschulheim wieder auf. Die sagten, sie hätten ihn beim Spielen gefunden und mitgenommen. Doch inzwischen führt auch ein Speziallack, mit dem die Kiste angemalt war, zu einem der Jungen – dann dessen Vater soll Inhaber der Handelsfirma gewesen sein, wie Michael Herrmann in seinen eigenen Recherchen herausgefunden haben will. Dieser Mann ist ein einflussreicher Industrieller mit Verbindungen in die bayerische Politik. Sein Unternehmen lag in direkter Tatort-Nähe.
Michael Herrmann hat inzwischen Kontakt zu einem Mann, der 1981 Schüler in besagtem Internat war: Markus Epha, damals in der 10. Klasse, erinnert sich, dass das dramatische Verbrechen verdrängt wurde. Seinen Verdacht, es könnte jemand aus seiner Schule gewesen sein, habe er 2003 gegenüber dem LKA geäußert – doch nichts weiter passierte. "Das Ganze stinkt gewaltig", so Epha. Man solle weiter ermitteln. "Es geht darum, dass man keine Angst davor hat, dass eine unbequeme und unangenehme Wahrheit rauskommt."