Risiken von Antibiotika
Das sollten Sie über Fluorchinolone wissen
Was sind Fluorchinolone?
Fluorchinolone sind so genannte Breitband-Antibiotika, die viele verschiedene Bakterienarten daran hindern, sich weiter zu vermehren. Die Wirksamkeit dieser Präparate ist unbestritten, die Mittel sind aber nicht ohne Risiken. Man erkennt diese Medikamente an den Wirkstoffen mit einer Namensendungen auf "-floxacin". Die bekanntesten sind Ciprofloxacin (derzeit Verschreibung von ca.19 Millionen Tagesdosen pro Jahr in Deutschland), Levofloxacin (7,5 Millionen Tagesdosen), Moxifloxacin (3 Millionen Tagesdosen), sowie Norfloxacin, Ofloxacin, Nadifloxacin, Lomefloxacin und andere.
Was macht die Mittel so problematisch?
Fluorchinolone sind Breitband-Antibiotika, das heißt: Sie helfen bei einer Vielzahl verschiedener Bakterienstämme, was die Verschreibung für Ärzte so einfach macht. Denn in den meisten Fällen ist eine Infektion - egal welche - damit schnell besiegt. Allerdings werden diese Antibiotika in Deutschland offenbar viel zu leichtfertig verordnet und angewendet – oft schon bei einfachen Infekten wie Bronchitis, Nebenhöhlen-, Mittelohr- oder Blasenentzündung, für die es auch andere wirksame Antibiotika gäbe. Die möglichen Nebenwirkungen von Fluorchinolonen sind schwerwiegend, so dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis nur in Kauf genommen werden sollte, wenn kein anderes Mittel infrage kommt. Durch einen häufigen Einsatz können die betreffenden Bakterienstämme zudem resistent werden – und die Mittel somit unwirksam. Dabei wird die Effektivität der Fluorchinolone bei schwerwiegenden Erkrankungen dringend gebraucht! Experten sprechen deshalb ausdrücklich von "Reserveantibiotika".
Unzureichende Information der Ärzte
Ärzte sind vielfach ungenügend über diese Zusammenhänge und die gravierenden Nebenwirkungen aufgeklärt – und damit auch die Patienten. Das kann dazu führen, dass auftretende Nebenwirkungen nicht erkannt oder auf die Einnahme zurückgeführt werden. Die "Rote Hand-Briefe" an alle Ärzte sollen das nun ändern.
Erfassung von Nebenwirkungen:
Wie häufig schwere unerwünschte Nebenwirkungen genau auftreten ist unbekannt – es gibt einige Daten, aber vermutlich auch eine hohe Dunkelziffer. Nach der Markteinführung werden lediglich die von Ärzten, Apotheken oder pharmazeutischen Unternehmen bei der Behörde gemeldeten Zahlen erfasst. Ob die allerdings alle auftretenden Nebenwirkungen abdecken bleibt fraglich. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Patienten mit unerwünschten Wirkungen direkt wieder bei ihrem Arzt melden. Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske fordert: "Nur ein Teil der Nebenwirkungsfälle werden weitergegeben. Wir brauchen daher Forschung, nicht nur diese spontanen Meldungen."
Wie kann ich sicher gehen, dass ich das richtige Antibiotikum bekomme?
Bei einfachen Infektionen machen Fluorchinolone kaum Sinn, es ist vergleichbar mit "Kanonen auf Spatzen schießen". Für viele Infekte gibt es andere wirksame Antibiotika – etwa bei Nebenhöhlenentzündungen (Sinusitis), Bronchitis, Mandel- oder Blasenentzündungen. Sprechen Sie Ihren Arzt darauf an, ob Sie das verschriebene Präparat wirklich brauchen oder ob es eine Alternative gibt.
Eine Laboruntersuchung, die jedoch in der Regel 24 Stunden dauert, kann zeigen, welche Erreger genau Ihnen Probleme bereiten. Und welches Antibiotikum Ihnen hilft, genau diesen Bakterienstamm zu bekämpfen. Ein Breitbandantibiotikum kann sich dann erübrigen.
Solche Antibiogramme geben auch Hinweise darauf, gegen welche Antibiotika Sie vielleicht schon Resistenzen gebildet haben oder dazu neigen, unerwünschte Wirkungen zu bekommen. Das ermöglicht eine gezieltere Behandlung. In Deutschland ist das leider kaum Praxis, während solche Tests in anderen Ländern, etwa den Niederlanden, quasi standardmäßig durchgeführt werden, sagt Pharmakologe Prof. Gerd Glaeske. "Hier hat sich das leider noch nicht durchgesetzt, da fehlt wohl eine Abrechnungsziffer", so Glaeske. "Einige Kassen haben aber Projekte begonnen."
Wie wirken die Fluorchinolone genau?
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Fluorchinolone blockieren ein bestimmtes Enzym (Gyrase) in der DNA der Bakterien, wodurch diese sich nicht mehr vermehren können. Und zwar bei zahlreichen Bakterienarten, wenn auch nicht bei allen.
Die Liste möglicher Nebenwirkungen ist lang und vielfältig. Sie können unmittelbar nach der (ersten) Einnahme auftreten, wobei einige wieder abklingen. Es kann aber auch zu Langzeitschädigungen kommen. Von Betroffenen werden folgende häufig beschrieben, die meisten werden auch in Beipackzetteln genannt:
- Sehnenreizungen, -entzündungen, -risse, vielfach ist die Achillessehne betroffen
- Gelenkschmerzen
- Muskelschmerzen, bis zu einem Stadium, dass Stehen oder Gehen kaum möglich sind
- Magen-Darm-Beschwerden, von Übelkeit bis zum Stadium, dass nur noch Flüssignahrung möglich ist, schwere Durchfälle
- Herzrasen, Schwindel, Panik- und Angstattacken, Todesangst
- Hautschmerzen, enge Kleidung und Berührungen unerträglich
- Lungenprobleme und Schleimbildung
- Schlafstörungen
- Halluzinationen
- Depressionen
Nebenwirkungen treten auf, so die wissenschaftliche Vermutung, da nicht nur die Bakterien in ihren Zellkernen angegriffen werden, sondern auch die gesunder Körperzellen. In welchen Fällen, wo genau und wie die synthetischen Medikamente so großen Schaden anrichten können, ist nicht bis ins Letzte erforscht.
Das macht es so schwierig, einzelne Nebenwirkungen zweifelsfrei auf das verabreichte Präparat zurückzuführen – und für Patienten kaum möglich, Ärzte oder Pharmaunternehmen zur Verantwortung zu ziehen.
Wie häufig treten schwere Nebenwirkungen auf?
Das lässt sich nur schätzen, da auftretende Nebenwirkungen von Patienten meist nicht erkannt oder erst spät in Zusammenhang mit dem Antibiotikum gebracht werden. Ebenso bei Ärzten – viele erfahren gar nichts davon. Laut Prof. Gerd Glaeske wird ein solches Antibiotikum vor der Marktzulassung an 2.000-3.000 Menschen getestet. "Die eigentliche Bewährungsprobe erfolgt aber erst nach der Markteinführung. Nur ein Teil der Nebenwirkungen wird überhaupt weitergegeben, weil sie nicht erkannt oder zugeordnet werden."
Experten gehen deshalb von einer hohen Dunkelziffer aus. In einschlägigen Foren in Deutschland äußern sich weit über 1.000 Betroffene mit massiven gesundheitlichen Folgen. "Die Daten sagen, dass in 4 bis 10 Prozent der Fluorchinolonanwendungen unerwünschte Wirkungen erleiden", so Glaeske. "Runtergebrochen heißt das, dass einer von 1.000 Patienten schwere Nebenwirkungen erleiden kann. Viele bekommen also nichts, oder beim ersten Mal nichts. Diejenigen, die Nebenwirkungen bekommen, sollten sie aber unbedingt dem Arzt melden!"
In den USA ist ein Fluorchinolon-Schaden eine anerkannte Krankheit:
Die amerikanische Aufsichtsbehörde hat 2015 die Nebenwirkungen von Fluorchinolonen zu einem definierten Syndrom unter der Bezeichnung Fluoroquinolone-Associated Disability (FQAD) zusammengefasst.
In welchen Fällen muss ich eines dieser Präparate nehmen?
Die Fluorchinolone werden auch "Reserve-Antibiotika" genannt, weil sie als Medikament der letzten Wahl gelten – wenn die Erreger gegen andere Antibiotika resistent geworden sind und darauf nicht mehr ansprechen. Erschreckend: Eine Untersuchung der Universität Bremen am Institut von Prof. Gerd Glaeske ergab, dass heute die Hälfte aller Blasenentzündungen unnötigerweise und leichtfertig mit Fluorchinolonen behandelt werden.
Es gilt jedoch: Nur wenn andere Antibiotika bei einer bakteriellen Infektion nicht anschlagen oder schwerwiegende, multiple Entzündungen vorliegen, sollen sie verschreiben werden. Nicht bei "Allerwelts-Infektionen". Denn: Für bestimmte Bakterienstämme, die beispielsweise Lungenentzündungen auslösen, gibt es schlicht kaum andere Mittel auf dem Markt. Das macht die Problematik möglicher Resistenzen so brisant. Hat ein Patient etwa eine chronische, schwere Blutvergiftung, könnte er im Fall einer Resistenz daran sterben.
Warum werden die Präparate nicht vom Markt genommen?
Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) untersucht derzeit, ob das Risiko-Nutzen-Verhältnis bei Fluorchinolonen neu bewertet werden sollte. Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medikamente (BfArM) hatte das vor einem Jahr angeregt. Möglich ist, dass es dann deutlichere Hinweise auf den Packungen oder Beipackzetteln gibt.
In den USA wurde das bereits 2016 eingeführt: Im Gegensatz zu Deutschland findet man dort auf den Beipackzetteln der Fluorchinolon-Präparate einen deutlichen Warnhinweis in großen Lettern gedruckt, die so genannte Blackbox-Warning. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Mittel nur bei schwerwiegenden Symptomen eingenommen werden darf und niemals erste Wahl sein sollte. Solche Warnungen sollten auch in den Leitlinien für Ärzte stehen.
Es könnte auch dazu kommen, dass in Deutschland weitere Fluorchinolone verboten werden. Schon in der Vergangenheit wurden einige vom Markt genommen, weil die Nebenwirkungen zu gravierend waren. Allerdings werden die Fluorchinolone wohl auch in Zukunft bei schwerwiegenden Erkrankungen wohl auch in Zukunft noch als wirksame Mittel noch gebraucht.