"Es fasziniert mich immer noch, wie ähnlich sie den Menschen sind - und doch sind sie so verschieden", sagt Dr. Signe Preuschoft. Die renommierte Affenforscherin kümmert sich in Indonesien um den Bestand der Orang-Utans. Die Menschenaffen sind schon lange weltweit vom Aussterben bedroht. In Ost-Kalimantan leben nur noch 50.000 Orang-Utans: ein Fünftel der ursprünglichen Population. Das Problem: Orang-Utans sind in den allerärmsten Ländern der Welt heimisch dort, wo auch die Menschen ums Überleben kämpfen. In Indonesien gelingt das vornehmlich durch den Handel mit Palmöl, das weltweit am meisten verwendete Pflanzenfett, und den Kohleabbau. Doch das geht auf Kosten des Regenwaldes, von dem allein auf der Insel Borneo nur noch 12 Prozent der ursprünglichen Waldfläche übrig sind. Die Orang-Utans werden im wahrsten Sinne obdachlos, der Lebensraum schrumpft immer weiter. Und damit auch ihre Nahrungsquelle. Auf der Suche nach Futter werden viele der Menschenaffen getötet oftmals vor den Augen ihrer Kinder, die hilflos zurückbleiben. "Sie verlieren damit nicht nur ihre Quelle von Trost, sondern auch ihren Schutz und ihre Haupt-Lehrperson", weiß Signe Preuschoft. Da Menschenaffen als Einzelkinder aufwachsen, haben die Kleinen normalerweise bis zum achten Lebensjahr die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Mutter. Ohne sie haben die Affenbabys kaum Überlebenschancen.
<h2>Affenbabys müssen von Menschen lernen, ein Orang-Utan zu sein</h2>
Die Orang-Utan-Waldschule nimmt sich seit Mai 2018 der verwaisten Jungtiere an. In dem Rehabilitationsprojekt auf Borneo übernehmen nun einheimische Pfleger die Rolle der Ersatzmutter für die Affenkinder. Auch Säuglinge werden dort versorgt. "Auf der einen Seite brauchen die Kinder den emotionalen Rückhalt, den ihnen die Mutter geben würde, auf der anderen Seite müssen sie die typischen Orang-Utan Dinge lernen", erklärt Signe Preuschoft, die das Projekt leitet. "Ein Orang-Utan muss ein Nest zu bauen wissen, in dem er nachts schlafen kann. Er muss wissen, was man essen kann und wann und wo man das findet. Und er darf sich im Wald nicht verlaufen."
Geführt wird das Projekt von der indonesischen Stiftung Jejak Pulang. Unterstützung gibt es von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten und dem indonesischen Forst- und Umweltministerium. Signe Preuschoft lebt nun schon zehn Jahre hauptsächlich in Indonesien, doch das Ziel der 58-Jährigen bleibt, die Mitarbeiter vor Ort so weit auszubilden, dass das Projekt langfristig auch ohne sie weiter funktionieren kann.
Obwohl in dem Projekt keine Besucher zugelassen sind, durfte stern TV einen exklusiven Einblick in die Arbeit mit den Affenkindern nehmen. Momentan leben acht Orang-Utan-Kinder auf dem 100 Hektar großen Schulgelände eine Fläche so groß wie 140 Fußballfelder. In der freien Wildbahn wachsen die Menschenaffen als Einzelkinder auf. In der Waldschule ist das anders und für die Kleinen ungewohnt. Die Affenkinder müssen sich die Ersatzmütter mit anderen Geschwistern teilen, was häufig zu Rangeleien führt - Geschwisterstreitigkeiten.
Beim Lernen lautet das Motto dann: Beobachten und Imitieren. Signe Preuschoft macht ihnen beispielsweise vor, wie man an das süße Mark unter der Rinde der wilden Ingwerpflanze kommt. "Jedes Mal wenn ich mich daran zu schaffen mache, dann sind sie sofort interessiert. Mit der Zeit gewöhnen sie sich daran, dass das lecker ist und dass sie das auch selber öffnen können", erklärt die Verhaltensforscherin. In der Waldschule lernen die Orang-Utan-Kinderauch mit natürlichen Werkzeugen zu arbeiten, welche Äste stabil genug zum Klettern sind, wo in Baumlöchern versteckte Wasserquellen zu finden sind oder wo sie vor Feinden geschützt sind. Die Pfleger müssen dabei strenge Regeln einhalten, dann in der Orang-Utan-Welt gibt es weder Smartphones noch Schokoriegel. Nichts davon darf zu den Äffchen gelangen, da sie sich sofort dafür interessieren und das Verhalten imitieren würden. Stattdessen funktioniere es andersherum: Die Mitarbeiter sollen sich verhalten, wie Orang-Utans. Dazu gehöre auch, wie die Tiere auf Bäume zu klettern. Anstatt die Affen zu vermenschlichen, würden die Menschen in der Waldschule quasi "ver-orang-utan-licht!", lacht Signe Preuschoft.
<h2>Lebensraum der Menschenaffen muss Plantagen weichen</h2>
Die Affenforscherin aus Tübingen liebt ihre Arbeit, fragt sich aber auch, wie lange derartige Projekte noch Bestand haben. "Bei der ganzen Idylle, die man hier in der Waldschule sieht, darf man nicht vergessen, dass täglich Orang-Utan-Habitat vernichtet wird und der Trend geht immer weiter in die falsche Richtung: noch mehr und noch mehr zerstören." Vielerorts grenzen Kohleabbau und Waldrodung dicht an das letzte Refugium der Orang-Utans auf Borneo. Der Regenwald muss für die Plantagen weichen. In der Folge suchen die Affen Nahrung in menschlichen Siedlungen und werden für ansässige Bauern zu Dieben und Schädlingen. Manche bekommen Bleigeschosse in ihre Körper und schleppen sich verletzt umher aber auch Schlimmeres: "In der Regel werden sich regelrecht niedergemetzelt und nicht nur erschossen, sondern mit diesen Buschmessern und Netzen getötet", sagt Signe Preuschoft. Borneo Orang-Utans sind kritisch bedroht. Die Waldschule kümmert sich darum, dass wenigstens der Nachwuchs überlebt.